Tischlerei erfindet sich seit 140 Jahren neu

Möbel von der Stange gibt es bei der Firma Einenkel aus Thum nicht. Der Sechs-Mann-Betrieb arbeitete schon für Juweliere, Nobelboutiquen und exklusive Einkaufscenter. Doch zum Erfolg der langen Geschichte des Familienunternehmens trägt auch ein Nein zur richtigen Zeit bei. [...] Mehr als ein Jahrhundert später sitzt Hermann Einenkel, Ururenkel Hilligs, in demselben Haus am Computertisch mit Bildschirm, PC und Smartphone. Die Zeiten sind völlig andere geworden, doch auch Hermann Einenkel, ein großgewachsener Mann mit kräftigen Händen und Dreitagebart, ist Tischlermeister. Er konnte gar nicht anders. "Ich bin in der Werkstatt aufgewachsen, weil auch mein Vater hier Jahrzehnte als Tischlermeister gearbeitet hat", sagt der 37-Jährige und lacht. Heute ist er Chef eines Sechs-Mann-Unternehmens, das im Jahr eine halbe Million Euro umsetzt und am Markt etabliert ist. Der Betrieb hat die Einrichtung für die Arztpraxis und das Eiscafé von nebenan genauso im Portfolio wie Möbel für private Bauherrn, Juweliere, die Modeboutique in New York oder das Nobeleinkaufszentrum in London. "Bei uns gibt es nichts von der Stange", sagt Hermann Einenkel. [...] Das Tor zur internationalen Geschäftswelt tat sich 2007 auf. Der renommierte Projektentwickler Rosskopf + Partner holte Einenkel ins Boot, als in London die Westfield Shopping Mall gebaut wurde, ein Milliardenvorhaben. "Es war die größte Baustelle Europas", spricht Hermann Einenkel, der vor Ort war. Er nahm weiße, futuristisch geschwungene Möbel aus der Thumer Werkstatt mit auf die Insel. "Wir lieferten und montierten Empfangsmöbel für den VIP-Bereich. Über uns hingen Kronleuchter, von denen jeder eine Million Euro gekostet hat." Wenig später ging es sogar nach Übersee: In Manhattan rüstete Hermann Einenkel ein Nobelgeschäft von Yumiko Takeshima aus, seinerzeit Erste Solistin des Balletts der Dresdner Semperoper. Die Qualität aus Thum überzeugte. Als die Weltklassetänzerin eine weitere Boutique eröffnete, kam Einenkel wieder zum Zug. "Unsere beste Werbung ist die Mund-zu-Mund-Propaganda", sagt der Tischlermeister, der 2008 das Ruder von seinem Onkel übernahm. Auch er erweiterte die Kompetenz des Unternehmens, sodass die Auftragsbücher stets für mehrere Monate gefüllt sind. Das habe auch mit Zuverlässigkeit und Termintreue zu tun, so der 37-Jährige. [...] Bei aller Veränderung, die da noch kommen mag, einem bleibt Hermann Einenkel treu: Dem Credo seines Onkels. Kurz nach der Wende, als die erzgebirgische Tischlerei sich einen Ruf erarbeitet hatte, bot ein Investor seinen millionenschweren Einstieg an. Nach reiflicher Überlegung lehnte Harald Einenkel ab. Das Risiko, die Unabhängigkeit des Betriebs aufzugeben, erschien ihm zu groß. Er sollte seine Entscheidung nicht bereuen: Ein paar Jahre später ging der Investor pleite. "Wir sind Handwerker", sagt Einenkel, "und wir bleiben es." Quelle: Freie Presse vom 04.05.2018, Michael Urbach