Andrej Babiš siegt bei den Parlamentswahlen in Tschechien

Der Sieger ließ auf sich warten. Erst kurz nach 19 Uhr trat Andrej Babiš am Samstag vor die Kameras. Da waren die Wahllokale schon fünf Stunden zu. Seine Anti-Establishment-Bewegung „Aktion unzufriedener Bürger“, kurz Ano, was auf Tschechisch „ja“ heißt, hatte gerade einen erdrutschartigen Sieg eingefahren. Und das, obwohl ihn zuletzt ein Skandal nach dem anderen einholte. Er soll unberechtigt EU-Fördermittel kassiert, Steuerschlupflöcher genutzt und vor 1989 für den Geheimdienst gearbeitet haben. Die Polizei ermittelt gegen ihn.

Doch die Parlamentswahlen sind für ihn ein Befreiungsschlag. Seinem Ziel, Premierminister Tschechiens zu werden, ist der 63-jährige mehrfache Dollarmilliardär ein großes Stück näher gekommen. Zwar reichte es nicht zur absoluten Mehrheit, aber an Babiš führt bei der Regierungsbildung kein Weg vorbei.

Dann hätte Tschechien erstmals einen Premier, der kein gebürtiger Tscheche ist. Geboren und aufgewachsen in der Slowakei, lebte die Familie zeitweise in Frankreich und der Schweiz. Der Vater war Außenhandelsfunktionär und Babiš trat später in dessen Fußstapfen. Noch vor 1989 arbeitete er für den staatlichen Außenhandel in Marokko.

Dass er fähige Leute in seinem Team hat, bescheinigt ihm sogar die Konkurrenz.

Die Umstände, wie er die Kon-trolle über seine Firma Agrofert erlangte und den Grundstein für seinen sagenhaften Reichtum legte, sind bis heute mysteriös. Zu Agrofert gehören über 250 Firmen: Chemiebetriebe, Industriebäckereien, Getreidesilos und Wurstfabriken. In Deutschland kontrolliert er das Backunternehmen Lieken und das Düngemittelwerk SKW Priestewitz. Er gilt als sozialer Unternehmer. Als er 2011 ankündigte, in die Politik zu wechseln, waren seine mehr als 30.000 Angestellten seine ersten Wähler.

Von der Konkurrenz wurde er nicht ernst genommen, bis er bei den letzten Wahlen aus dem Stand 18 Prozent einfuhr. Er geißelte korrupte Politiker, die seine „ehrlich gezahlten Steuern durchbringen und nur faseln“. Er dagegen wolle „ranklotzen“. Er schläft wenig, arbeitet viel und ist omnipräsent. Den Staat wolle er wie eine Firma führen – effizient und straff. Seine Anhänger lieben ihn und wie die Wahlen zeigen, sind es noch mehr geworden.

Für seinen Erfolg gibt es viele Erklärungen. „Er profitiert aus der sich vertiefenden Krise der etablierten Parteien“, sagt Politologe Lukas Novotny. Vor allem die Kritik, dass er unberechtigt EU-Fördermittel erhalten habe, wendete sich bei seinen Wählern ins Gegenteil, sagt Novotnys Kollege Jaromir Volek: „Die sind eher euroskeptisch. In ihren Augen hat Babiš mit dem möglichen Fördermittelbetrug Brüssel richtig eins ausgewischt.“ Außerdem kann sich der zweitreichste Tscheche ein ausgefeiltes Marketing leisten: „Die Marketing-Strategie von Babiš ist in Tschechien derzeit konkurrenzlos“, sagt der Journalist Josef Pazderka.

Vor allem aber spricht er die Sprache seiner Wähler: einfach und verständlich. Da wird ihm sogar sein slowakischer Akzent verziehen. Dass er fähige Leute in seinem Team hat, bescheinigt ihm sogar die Konkurrenz. Trotzdem ist die Aussicht auf einen Premier Babiš für viele ein Albtraum. „Da ist sein permanenter Interessenskonflikt“, sagt Journalist Pazderka. Babiš gehört inzwischen ein Medienimperium mit den größten Tageszeitungen, dem reichweitenstärksten Radiosender und ein TV-Sender.

Wohin die Reise mit Babiš geht, ist schwer zu sagen. Zu oft hat der Pragmatiker in der Vergangenheit seine Meinung um 180 Grad geändert, wenn es ihm nützte. Eins ist schon mal sicher: Den Euro wird es in Tschechien unter Babiš nicht geben.

(Quelle: Freie Presse)