​Dialogveranstaltung stellt Wirtschaftsfaktor Jugend in den Mittelpunkt

Landsitz oder Stadtloft? – Wie hält man die Jugend auf dem Land?

Annaberg-Buchholz (01.12.2017). „Die Meinungen der Jugendlichen zu dem Thema Karriere im Erzgebirge sind gegensätzlich. Die einen bemängeln zu wenig Vielfalt, die anderen sehen ein breites Angebot. Fakt ist, dass wir uns in der Region eine große Breite an Freizeitmöglichkeiten leisten, wie Theater und Orchester, sowie über 500 Sportvereine und 1000 weitere Vereine, wo man sich auch selbst mit einbringen kann“, umriss Landrat Frank Vogel in seinem Grußwort zur gestrigen Gesprächsreihe „Stark im Land im Gespräch: Wirtschaftsfaktor Jugend“ das Thema. Eingeladen hatten ins Technologieorientierte Gründer- und Dienstleistungszentrum Annaberg die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) in Kooperation mit der Wirtschaftsförderung Erzgebirge GmbH (WFE).

Kommunen und Unternehmen in ländlichen Räumen stehen vor dem Problem, dass die jungen Menschen in größere Städte abwandern. Die Sorge teilen nicht nur sächsische Regionen – der Trend zeichnet sich inzwischen deutschlandweit ab. Was motiviert nun junge Menschen auf dem Land zu bleiben oder zurück aufs Land zu gehen? In einer Diskussion mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Bildungseinrichtungen sollte an diesem Nachmittag aufgezeigt werden, was die Beteiligten tun können, um die Jugend zu halten bzw. zurückzuholen und damit die Region Erzgebirge zukunftsfähig zu machen. Die Teilnehmer bekamen einen Eindruck davon, dass manchmal an ganz einfachen Stellschrauben gedreht werden muss, um Jugendlichen Lust auf eine Region zu machen, die bei genauerem Hinschauen voller Perspektiven steckt.

„Das Potential einer jeden Region liegt in den dort lebenden Menschen, allen voran den Jugendlichen“, unterstrich die Programmleiterin der DKJS Anikó Popella, „und einer Gesellschaft, die sich dafür einsetzt, dass junge Menschen in Deutschland gut aufwachsen können.“ Je früher junge Leute schon im Kindesalter die Chance bekämen, ihre Heimat mitzugestalten, sich einzubringen, desto stärker würde auch dieses positive Gefühl von Heimat in den Köpfen und Herzen verwurzelt. Sie machte dabei Mut, die guten Ansätze einzelner Initiativen, die es bereits gäbe, im Dialog aufzuzeigen und Nachahmer in anderen Kommunen dafür zu finden. Und Anikó Popella forderte auf, den jungen Menschen zuzuhören und sie frühzeitig auf ihrem Weg intensiv zu begleiten. Das sei weder die alleinige Aufgabe des Elternhauses, der Schule oder eines Jugendamtes, sondern vielmehr trage die Gesamtgesellschaft dafür die Verantwortung.

Alexander Biedermann, Geschäftsführer des Zentrums für Lehrerbildung und Schulforschung (ZLS) der Universität Leipzig, zeigte in seinem Impulsreferat eine weitere Zielgruppe auf, die es lohne für die Region zu gewinnen. Erfolgsversprechend seien Männer und Frauen, die vor einem Lebensphasenumbruch ständen, so z.B. diejenigen, die gerade eine Familie gründen. Das allein reiche aber noch nicht aus. Studien hätten gezeigt, dass beispielsweise die Aussicht auf eine unbefristete Stelle, flexible Arbeitszeitmodelle und ein passender Job für den Ehepartner die Chancen auf Gewinnung neuer Fachkräfte erhöhen. Das Angebot einer betrieblichen Altersvorsorge ist jedoch in dem Alter für die wenigsten entscheidungsrelevant.

Rege Diskussionen gab es an sechs Thementischen. Es ging um nachwuchsorientierte Unternehmenskultur und darum, wie man Kommunen jugendfreundlicher gestalten kann  - zum Beispiel durch geeignete Treffs. Denn neben der Familienbande sind es oftmals die langjährigen Freundschaften zu Gleichaltrigen, die Jugendliche an die Region binden. „Wenn ich groß bin, bleib ich … – Berufsorientierung auf dem Land“ hieß ein weiterer Thementisch, an dem sich Verantwortliche aus Berufsorientierung, Unternehmen und Schulen austauschten. Mittendrin saß Ricky Köhler, 2016 ausgelernt bei der bei Vollmann (Sachsen) GmbH in Scheibenberg und heute Mitarbeiter im Unternehmen. Warum er sich für eine Ausbildung in seinem Nachbarwohnort entschied, brachte er in drei Argumenten auf den Punkt: „Das Unternehmen war mit schon bekannt, weil es stark in unserer Schule präsent war. Zudem wurde es mir sehr von einem Mitschüler empfohlen, der zum Praktikum dort war. Schließlich trug auch der kurze Weg zur Entscheidung bei: Im Sommer kann ich mit dem Rad zur Arbeit fahren, im Winter sogar mit den Langläufern“. Letztlich unterstützte ihn sogar sein Arbeitgeber bei seiner gewünschten Auszeit für acht Monate Ausland: Der Job blieb ihm trotzdem erhalten.

Um die „Perspektive Heimat – Rückkehrer/Zuwanderer“ drehte es sich thematisch in einer weiteren Diskussionsrunde. Was bewegt gut bezahlte Arbeitskräfte in Bamberg in ihre Heimat Erzgebirge zurückzugehen? Diese Frage stellte Vincent Waller, Psychologiestudent und Initiator des Zukunftsnetzwerks Erzgebirge in den Raum: “Ich glaube, dass nicht der Lohn im Vordergrund steht, sondern vielmehr die Aussicht, in einem guten Team einem attraktiven Job mit freien Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten nachgehen zu können.“ Gerade an dieser Stelle könnte das Erzgebirge mit seiner kleingliedrigen Wirtschaftsstruktur und den 17.000 Unternehmen mit hauptsächlich flachen Hierarchien absolut punkten. Lediglich viele Unternehmer müssten noch lernen, die psychologischen Erwartungen der Bewerber von vornherein anzusprechen.

Und auch Start-ups und ländliche Regionen gehören für viele Menschen nicht zusammen. Doch gerade der ländliche Raum mit seiner ganz eigenen Identität und genügend Freiraum für kreatives Denken steckt voller Potential.

Initiativen und Projekte, wie man die Jugend für eine Zukunft in der ländlichen Region Erzgebirge stärken kann, gibt es im Erzgebirge in Kommunen, in Unternehmen und an den Schulen bereits viele. Darüber reden, abwägen, voneinander abgucken und neue Ideen generieren macht Sinn. Genau das wollte die Dialogveranstaltung erreichen. Einigkeit bestand am Ende in vielen Punkten – allem voran darin, dass man junge Leute nur erreicht, wenn man ihnen den Sinn nahebringt, warum sie hier bleiben sollen.

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