Für junge Leute ist Europa ganz nah, wenn es ihre Welt berührt

Wortgefechte mit hochrangigen Politikern, das macht ein Jugendlicher nicht jeden Tag. Und dann noch zu einem sperrigen Thema wie der Europäischen Union. In Stollberg geriet das zur Lehrstunde für bürgernahepolitsche Aufklärung.

Stollberg. Als Lena Maria Rasch zum zweiten Mal nachhakt und erneut versucht, Oliver Schenk beim Thema europäisches Urheberrecht das Argument abzunehmen, da huscht dem Chef der Dresdner Staatskanzlei und sächsischen Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten ein Lächeln übers Gesicht. Keinesfalls ein Auslachen ist es, sondern eher Ausdruck des Stolzes. "Ich war sehr beeindruckt, wie die Jugendlichen sich eingebracht haben", sagte Schenk nach der Abschlussveranstaltung von "Meet & Greet Europa" am Montagabend im Stollberger Schlachthof. Damit ging ein Dialog mit Schülern aus Thalheim, Burkhardtsdorf, Stollberg und Zwönitz zu Ende, den die Staatskanzlei mit der deutschen Vertretung der Europäischen Kommission, der Bürgerinitiative Europa-Union und den Kommunen organisiert hatte. Für die jungen Leute sind zwar Krieg, zugeteilte Butter oder die Wartezeit von 15 Jahren auf ein neues Auto unendlich weit weg. Nicht aber die Sorge, dass ihnen durch ein geändertes europäisches Urheberrecht eines ihrer wichtigsten Medien Youtube weggenommen werden könnte, und die Kritik, dass Deutschland mit Rüstungsexporten zu Kriegen und weltweiter Flucht beitrage. "Uns wird ein Teil unserer Jugend genommen, wenn es bestimmte Youtube-Kanäle nicht mehr gibt", meinte Lena Maria Rasch. Oliver Schenk betonte, dass Künstler Anspruch hätten, für ihre Arbeit entlohnt zu werden, und konnte sie in einer Hinsicht beruhigen: "Es soll Ausnahmen geben." Das sei wichtig, meinte die 14-jährige Victoria Felber, schließlich hätten kleine Künstler erst durch diese Möglichkeit die Chance, bekannt zu werden. Sie könnten weiter ihre eigenen Stücke hochladen, ergänzte Harald Baumann-Hasske, Sprecher für Europapolitik in der SPD-Fraktion im Landtag.

Auch die anwesenden Landtagsabgeordneten von CDU und Linken sowie die Bürgermeister oder deren Stellvertreter aus den vier Orten gaben Denkanstöße. Denn die Bandbreite der Diskussion reichte von Migrationsursachen über die ethische Frage unbemannter Kriegswaffen wie Drohnen bis hin zur Gefahr für die hiesige Landschaft durch zunehmenden Ausbau der Industrie. Die Schüler verbanden das mit der Hoffnung, dass ein Europa, das an einem Strang zieht, dazu beitragen kann, Probleme auch in der restlichen Welt zu lösen.

Unter den rund 30 Zuschauern saßen viele Schüler, die sich an dem Projekt beteiligt hatten. Aber nicht nur. Celine Lerch (14) und Luise Lieberwirth (15) von der Zwönitzer Oberschule hatten erst an dem Tag von der öffentlichen Veranstaltung erfahren. "Da haben wir uns spontan entschlossen, herzukommen", sagte Celine. Für viele in ihrem Alter sei die Europäische Union vor allem ein großes Gebilde, das sich schwer durchschauen lässt. "Dagegen hilft nur, sich zu informieren."

"Super, dass ein so hoher Politiker zu uns kommt"

Lena Maria Rasch besucht die 9. Klasse der Altstadtschule und war bei dem Projekt dabei. Mit der 14-Jährigen aus Klaffenbach sprach Kathrin Neumann.

"Freie Presse": Hat dieses Projekt dein Bild von Europa verändert?

Lena Maria Rasch: Auf jeden Fall, ich bin total positiv überrascht. Gefühlt hört man über die EU immer so viel Schlechtes, dass alles eingeschränkt wird und so. Aber keiner guckt mal dahinter. Das haben wir heute gemacht. Und ich fand das auch super, dass so ein hoher Politiker hierher zu uns kommt und uns zuhört.

Du hast mit dem Chef der Staatskanzlei leidenschaftlich über die geplante Reform des europäischen Urheberrechts diskutiert. Geplant ist unter anderem, dass Google oder YouTube Künstler vergüten sollen, wenn deren Inhalte auf ihren Plattformen angeboten werden. Wie wichtig ist dir das Thema?

Sehr, denn wir wachsen mit Youtube auf. Ich liebe es, am Nachmittag nach der Schule Mädchenkanäle wie Bibis Beauty Palace, aber auch Bildungsangebote oder Galileo zu schauen. Seit über die Änderung des Artikels 13 diskutiert wird, heißt es immer: Die nehmen euch das Internet weg, Youtube wird abgeschafft. Heute haben wir erfahren, das stimmt gar nicht. Es wird immer alles so negativ dargestellt, das ist doch schlimm.

Obwohl diese Veranstaltung öffentlich war, saßen nur etwa 30 Leute im Publikum. Hätte dieser Abend jedem Schüler gut getan?

Auf jeden Fall, und wenn es nur als Zuhörer gewesen wäre. Ich glaube, wir haben hier alle etwas gelernt. Gleich nachher, wenn das hier vorbei ist, werde ich in den Klassenchat schreiben, wie es war. Als klar war, dass das Projekt mit dieser Abendveranstaltung endet, hab ich zuhause gesagt: "Mama, nächsten Montag hab' ich was vor."

Redet ihr im Klassen- oder Freundeskreis miteinander über das Thema Europa oder die Europäische Union?

Ehrlich gesagt, gibt es wenige in meinem Alter, die sich für Politik interessieren. Es kommt einem ja auch weit weg vor. Was betrifft mich das im Alltag? Aber das ist nur gefühlt! In Wahrheit wirken sich ja total viele politische Entscheidungen auf unser Leben aus. Ich denke, da ist viel Unwissenheit dabei. Vielleicht können die Eltern zuhause manche Kinder da auch noch mehr unterstützen.