Im Boomland Tschechien herrscht fast Vollbeschäftigung

Die Maschinen laufen Tag und Nacht ohne Unterbrechung: Bei der Firma GZ Media in der Nähe von Prag werden Schallplatten für einen wieder wachsenden Markt von Vinyl-Enthusiasten gepresst. Wie hier boomt das Geschäft in vielen tschechischen Betrieben. Doch es gibt auch eine Schattenseite: „Das Hauptproblem für uns und andere Firmen in der Region ist der Mangel sowohl an qualifizierten wie an unqualifizierten Arbeitskräften“, sagt Vertriebs- und Marketingmanager Michal Nemec.

Tatsächlich liegt die Arbeitslosenquote im Prager Speckgürtel, in dem sich das Platten-Presswerk befindet, bei nur 3,4 Prozent. In der Hauptstadt selbst herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Als die Statistikbehörde Eurostat gestern ihre neuesten Zahlen präsentiert, ist Tschechien wieder das Land, das unter allen EU-Staaten bei der Arbeitslosigkeit am besten abschneidet. Im Mai waren es nach den Berechnungsmethoden von Eurostat nur 3,0 Prozent – beim Schlusslicht Griechenland mit Stand März hingegen 22,5 Prozent GZ Media geht dabei viele Wege: „Wir stellen Ausländer ein, bieten neue Sozialleistungen, probieren neue Anzeigenkanäle aus, arbeiten mit Schulen zusammen und beschleunigen das Auswahlverfahren“, berichtet Nemec. Vor drei Jahren öffnete die Firma ein neues Zweigwerk für Verpackungswaren im Süden Tschechiens, weit weg vom Stammbetrieb.

Während jahrelang über die Slowakei als neuem Wirtschaftstiger Mitteleuropas gesprochen wurde, blieb der Boom in Tschechien eher unbemerkt. Bernard Bauer, Geschäftsführer der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer, bringt es auf den Punkt: „Deutschland geht es gut, heißt: Tschechien geht esgut“, sagt er. „Kurze Wege, ähnliche Industrie- und Warenstrukturen. Wachstumstreiber sind vor allem Automotive und Maschinenbau. All das macht deutsche Investitionen in Tschechien so interessant.“ Im vorigen Jahr lief die Rekordzahl von 1,3 Millionen Autos vom Band. Doch Tschechien will und kann mehr sein als nur die verlängerte Werkbank des Westens. „Immer mehr internationale Konzerne bauen in Tschechien Entwicklungsabteilungen auf, vor allem auch im digitalen Bereich“, sagt Bauer. In Prag gibt es eine lebendige IT-Gründerszene, die etwa Handy-Apps für den Weltmarkt produziert.

Dennoch mahnt Ministerpräsident Bohuslav Sobotka, dass der Wandel nicht schnell genug vorangeht. Bei der Förderung ausländischer Investitionen müsse mehr auf Innovationen geachtet werden. Während täglich knapp 16.000 Tschechen zu ihrem Arbeitsplatz nach Bayern pendeln, nehmen inzwischen immerhin 1800 Deutsche den umgekehrten Weg und helfen damit, den dortigen Fachkräftemangel abzufedern. Das geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor. Wie dramatisch ist der Fachkräftemangel wirklich? „Die meisten Mitgliedsunternehmen haben immer größere Probleme, qualifizierte Mitarbeiter zu finden“, warnt Handelskammer-Chef Bauer. Es sei schon so weit gekommen, dass neue Aufträge abgelehnt werden müssten. „Und das ist eine heftige Wachstumsbremse, die kein Land als gegeben akzeptieren sollte.“ Umfragen zeigen, dass weite Teile der Bevölkerung Zuwanderung als Lösung ablehnen: Nur 12 Prozent sehen einen positiven Nutzen, im EUSchnitt sind es 44 Prozent.

Seit Jahren wirbt Bauer für die Einführung des dualen Ausbildungssystems. Bisher vergeblich. Eine Lehre wie in Deutschland mit viel Praxisanteilen gibt es in Tschechien nicht, wohl aber seit 2015 in der benachbarten Slowakei. „Der politische Wille, ein duales System aufzubauen, ist kaum vorhanden“, bedauert Bauer. Angesichts der geringen Jugendarbeitslosigkeit fehle schlicht der Handlungsdruck. Bei der Schallplattenfabrik, einer der weltweit größten, sagt man: „Wir würden das begrüßen.“

(Quelle: Freie Presse)