„Was wir brauchen, ist Vertrauen“
Frau Dost, wie steht es – ganz allgemein gefragt – derzeit um die Wirtschaft im Erzgebirge?
Ganz allgemein kann man sagen, dass die Welt zurzeit sehr bunt ist. Für die Wirtschaft ist das sehr anspruchsvoll und mit sehr vielen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten behaftet. Das schlägt sich vor allem im verarbeitenden Gewerbe sehr stark nieder. Von dem Rest an Planungssicherheit, den wir vor zwei, drei Jahren vielleicht noch hatten, ist noch weniger übriggeblieben. Vor allem Unternehmen in der Zulieferindustrie und im Metallbereich spiegeln uns, dass die berechenbaren Zeiten immer kürzer werden, eine Vorschau maximal auf wenige Wochen möglich ist. Der Anspruch an die Flexibilität und Kreativität unserer Unternehmen wird damit viel größer.
Lebt man also nur noch von der Hand in den Mund? Oder sind die Unternehmen dank der Entwicklung der vergangenen 30, 35 Jahre so solide aufgestellt, dass sich auch eine Durststrecke überstehen lässt?
Das lässt sich von außerhalb der Unternehmen schwer sagen. Fakt ist: Wenn es Rücklagen gab, dann sind die in den vergangenen Jahren massiv geschrumpft und sie schrumpfen weiter. Es reiht sich Krise an Krise. Dass unsere Unternehmen inzwischen sehr resilient sind, haben sie in den vergangenen Jahren bewiesen. Sie sind breit aufgestellt, sie sind im Durchschnitt kleiner als in anderen Regionen und damit beweglicher. Das kann in der Krise ein Vorteil sein, aber „Speck“ ist nicht wirklich vorhanden.
In den vergangenen Monaten haben uns einige Nachrichten von Traditionsunternehmen erreicht, die Insolvenz anmelden mussten. Sind das Einzelfälle, die aufgrund des Leuchtturm-Charakters so mancher dieser Unternehmen besonders auffallen, oder sehen wir eine Zunahme der Insolvenzen insgesamt?
Wir hatten in der Vergangenheit nicht weniger Insolvenzen. Aber sie haben völlig recht. Jetzt trifft es auch größere, namhafte, prägende Familienunternehmen. Das sollte uns jetzt noch nicht irgendwo an den Rand des Wahnsinns treiben, aber es sollte uns wirklich aufmerksam machen und uns überlegen lassen: Was können wir tun? Was können wir gemeinsam tun? Wir stehen an einem Punkt, wo wir sagen: Das können wir jetzt nicht einfach so laufen lassen. Aber natürlich haben wir von unserer Seite aus nur wenige beeinflussbare Faktoren, das müssen wir akzeptieren.
Welche Faktoren spielen momentan die größte Rolle?
Wir haben viele Störfaktoren. Ein großer ist die Erhöhung der Arbeitskosten, der Produktionskosten, der Energiekosten. Was uns massiv ungünstig in die Karten spielt, ist das Thema Inlandsnachfrage. Darauf sind wir als Zuliefererregion stark angewiesen. Das beginnt beim Automobilbau, geht weiter über den Maschinenbau und die metallverarbeitende Industrie und zieht sich hinab in viele Bereiche. Die Lieferketten stehen derzeit stark unter Druck – und damit unsere Zulieferindustrie besonders. Im Vergleich zu diesen Themen tritt momentan sogar das große Thema Fachkräfte in den Hintergrund.
Aufgrund der vergangenen Weltkrisen und der gestörten Lieferketten einerseits und Trumps aktueller Zollpolitik andererseits spricht man ja schon hier und dort von einer Deglobalisierung der Wirtschaft. Ist die schon im Erzgebirge angekommen?
Ich sehe nicht, dass das wirklich kommt. Grundsätzlich wollen wir, will die Wirtschaft den freien globalen Handel. Und die Abhängigkeiten sind in einigen Bereichen so stark, dass sich vieles nur schwer rückabwickeln lässt. Aber die aktuelle Situation bringt uns trotzdem wieder stärker dazu, zu schauen, was der direkte Nachbar gut kann und wo regionale Kooperationen etwas bringen, um Unwägbarkeiten zu verringern.
Was kann man da als Kammer von Annaberg aus tun?
Unsere wichtigste Aufgabe ist die Interessenvertretung. Wir müssen als IHK insgesamt auf Landes-, Bundes- und Europaebene wirksam werden und aufzeigen, was unserer Wettbewerbsfähigkeit schadet, denn um die geht es letzten Endes. Wir können zudem immer wieder in die Beratung unserer Mitgliedsunternehmen gehen: Wir können zu Märkten beraten, wir können bei der Förderung und Finanzierung oder bei Sanierungsthemen unterstützen. Und wir können Netzwerke knüpfen und festigen: mit den Kommunen, mit Bildungsträgern, mit der Wirtschaftsförderung und unter den Unternehmen. Dabei müssen wir uns immer wieder fragen: Wie stellen wir uns zukunftsorientiert auf – und was ist die Superkraft unserer Region?
Welche Superkraft trägt uns denn in die Zukunft?
Wir sind so klein, wie wir sind. Mit der schon angesprochenen Vielfalt und Beweglichkeit. Wir sind innovativ. Wir können Transformation. Das beweisen wir als Region seit 800 Jahren. Wir sind es gewohnt, uns immer wieder neu zu erfinden. Erfinden zu müssen.
Was folgt daraus?
Wir müssen immer wieder schauen, wo Luft nach oben ist. Wo gibt es ausbaufähige Netzwerke in Richtung Innovation, Forschung, Bildung? Da haben wir viele Anknüpfungspunkte: Unsere Bildungsinfrastruktur ist, das unterschätzen wir manchmal, sehr gut. Auch die Anbindung an die Hochschulen funktioniert. Darauf müssen wir noch stärker aufbauen. Aber wir müssen uns auch immer wieder fragen: Welche neuen Märkte wird es geben? Wo können wir frühzeitig dabei sein? Gibt es gemeinsame Produktionsthemen? Wie können wir unsere Infrastruktur verbessern? Die Kammer kann da als neutraler Ideengeber auftreten und die Bündelung von Interessen übernehmen, die wir gemeinsam durchsetzen wollen.
Wo fangen wir an?
Unsere größte Forderung an die Politik ist, nicht nur von Bürokratieabbau zu reden, sondern diesen auch endlich umzusetzen: Was wir brauchen, ist Vertrauen. Vertrauen in die Wirtschaft und unsere Fähigkeit, eigenverantwortlich zu handeln. Gebt uns die Rahmenbedingungen, unter denen wir nachhaltig und zukunftsorientiert wirtschaften können. Und wir brauchen Planungssicherheit. Mit welchen Energieträgern wollen wir in den nächsten zehn Jahren arbeiten? Unternehmen können nicht alle drei Jahre neu investieren, nur weil sich der politische Wind wieder einmal dreht. Wirtschaft braucht klare Perspektiven, keine ständigen Kurswechsel.
Haben Sie Hoffnung, dass dieser Appell diesmal endlich ankommt?
Mit der Bürokratie ist es wie mit der Globalisierung: Ganz einfach lässt sich das offenbar nicht zurückdrehen. Deshalb muss man irgendwo anfangen. Es gibt auf Bundes- wie auf Landesebene verstärkt Initiativen, die die ersten Schritte gehen wollen. Es gibt auch Mittel dafür, mindestens in Sachsen. Insofern habe ich noch Hoffnung, ja. Aber wir müssen diese Entwicklungen beschleunigen.
Für die Transformation in Südwestsachsen soll es einen Masterplan geben. Was sollte Ihrer Meinung nach dort drinstehen?
Neben allen Krisen der vergangenen Jahre gibt es eine Konstante in unserer Region, in der Wirtschaftsregion Chemnitz insgesamt: Das ist der demografische Wandel. Ich glaube, bei vielen ist immer noch nicht angekommen, wie bedeutsam dieses Thema für unsere Zukunftsfähigkeit ist. Das wird sich mit größter Wahrscheinlichkeit nicht umkehren und auch nicht mit Migration vollständig auffangen lassen. Also ist die Aufgabe, die vorhandenen Ressourcen so gut wie möglich zu nutzen. Und das ist vor allem ein Bildungsthema. Deshalb müssen wir auch über neue Wege sowohl in der Schulbildung, als auch in der dualen Berufsausbildung nachdenken. Für die Lehrlinge werden die Wege zur Berufsschule immer weiter. Wie können wir das lösen? Wenn junge Menschen sich gegen einen Beruf entscheiden, weil die Berufsschule schlicht zu weit weg ist, dann haben wir ein strukturelles Problem. Ein weiteres Thema im Masterplan könnte die technologische Entwicklung sein. Wir sind mit dem SmartERZ-Bündnis im Erzgebirge und darüber hinaus erste Schritte gegangen und haben bewiesen, dass die Kompetenzen und die Bereitschaft zur Kollaboration da sind. Hier muss es Anschlussthemen geben, auch in Richtung IT und KI. Auch das sind dann wieder Bildungsthemen, für die es die Unterstützung des Freistaates Sachsen bedarf. Und nicht zuletzt müssen wir die Infrastruktur betrachten: den Ausbau von Schiene und Autobahn Richtung Leipzig, verbesserte Anschlüsse an die internationalen Flughäfen, die Verbindungen zwischen den Bundesstraßen … da gibt es noch immer sehr viel zu tun, um die Zukunftsfähigkeit der Region zu stärken.
Mancherorts gibt es die Fantasie, aus dem starken Mikrosystem- und IT-Cluster um Dresden herum eine Silicon Alley bis ins Erzgebirge zu bauen …
Wir können uns ganz viel erträumen und sollten unbedingt nach den ökonomischen Sternen greifen. Natürlich wäre es toll, wenn wir hier das Headquarter eines internationalen Top-Unternehmens hätten. Ausschließen möchte ich das nicht, im Gegenteil. Derzeit ist das ein Stück weit Illusion. Am Ende ist es die sogenannte Old Economy, die uns als Region durch die vergangenen Krisen getragen hat. Das will ich wirklich betonen. Wir dürfen nicht vergessen, was uns ausmacht. Wer hier Steuern bezahlt, das Zusammenleben in der Region unterstützt. Für wen das Erzgebirge Heimat ist. Deshalb lassen Sie uns die Menschen wertschätzen, die wir hier haben.
Frau Dost, wir danken für das Gespräch.