Literatur aus dem Nachbarland Tschechien hat es nicht immer leicht
Kennt man nicht auch noch andere tschechische Literatur, könnte man nach der Lektüre des Sammelbandes „Die letzte Metro. Junge Literatur aus Tschechien“ depressiv werden. Das meint zumindest Reiner Neubert, Literaturprofessor aus Zwickau, der regelmäßig Bücher aus dem Nachbarland vorstellt, die ins Deutsche übersetzt wurden.Im vorliegenden Band lassen die beiden deutschen Herausgeber Martina Lisa (Jahrgang 1981) und Martin Becker (1982) bereits im Vorwort erkennen, dass es in den Texten vorwiegend um diejenigen geht, die im Untergrund, eben in der „letzten Metro“ Prags, als Verlorene und Einsame zu finden sind. Und viele Texte beginnen oder enden in einer Kneipe. Reiner Neubert: „Neben den renommierten Schriftstellern Jaroslav Rudiš, Emil Hakl, Bianca Bellová und Irena Doušková, die bereits mit einer Übersetzung oder mehreren größeren Publikationen hierzulande bekannt sein dürften, sind es vorwiegend Autoren, die meist nur wenig älter sind als die beiden Herausgeber, wie im Glossar zu lesen ist.“
Sein Resümee: „Auf jeden Fall findet sich eine Vielzahl von Stimmen aus dem Nachbarland, die originelle und diverse Töne anschlagen.“ Er wird das Buch demnächst in den „Wenzel Prager Bierstuben“ Zwickau vorstellen. Da ist er seit 2003 sprichwörtlicher Lese-Stammgast.
Die Premiere gab es mit Josef Jedličkas Buch „Blut ist kein Wasser“. Seinerzeit war Uta Chmiel die Lesepartnerin, heute ist es Ingrid Zeuke. Neun Veranstaltungen gab es pro Jahr, nicht selten mit bis zu 50 Zuhörern. Im Februar 2014 ging die 100. Veranstaltung über die Bühne, die 130. ist für Januar 2018 geplant. In diesem Jahr ist Neubert 75 geworden, und er tritt etwas kürzer – die Pausen zwischen den Lesungen betragen jetzt zwei Monate.
Neubert, 1942 im erzgebirgischen Brünlos geboren, hatte 1972 in Leipzig promoviert, sich 1981 in Potsdam habilitiert und war 1989 zum Professor für neuere deutsche Literatur und Kinder- und Jugendliteratur berufen worden. „Was mich an den tschechischen Autoren beeindruckt, ist ihre unerhörte Welt- offenheit“, sagte er. Von 1993 bis 1998 unterrichtete er an der Westböhmischen Universität in Pilsen/ Plzeò, 2001/2002 an der Südböhmischen Universität in Budweis/České Budejovice. Noch näher konnte man als Deutscher der tschechischen Literaturszene kaum sein.
Im Juni 2000 gründete Reiner Neubert das deutsch-tschechische Literatur-Kultur-Büro. Seit 2007 ist es in die Magister-George-Körner-Gesellschaft in Bockau integriert. Für sein Engagement erhielt Neubert 2013 den Magister-George-Körner-Preis. In der Laudatio dazu hieß es: „Er stellt die ältere und neuere tschechische Literatur wissenschaftlich präzise, doch volksnah, verständlich und humorvoll dar.“
Das Engagement von Neubert ist inzwischen fast als Alleinstellungsmerkmal zu bezeichnen, denn die grenzüberschreitende Zusammenarbeit verzeichnet einen ziemlichen Aderlass – der Musiksommer fiel weg, ebenso die deutsch-tschechischen Literaturtage. Auch das Festival Mitte Europa ist Geschichte. Erst kürzlich stellte der Verein Brücke/ Most seine Arbeit ein.
Der Zwickauer Germanist schreibt weiter Rezensionen zu Übersetzungen aus dem tschechischen Buchmarkt. Nach der Herausgabe des Buches „Liegt Böhmen am Meer?“, für das Sylvia Graupner die Illustrationen beisteuerte, arbeitet Reiner Neubert nun an der Neu-Herausgabe des „Rübezahl“ von 1638.
Die nächste Lesung in den „Wenzel Prager Bierstuben“ in Zwickau gibt’s am 27. November, 17 Uhr: Martin Becker/Martina Lisa (Herausgeber) „Die letzte Metro“ (2017).
(Quelle: Freie Presse)