Notfallsystem E-Call seit 31. März 2018 Pflicht in neuen Autos

Unfall auf einer einsamen Landstraße, Fahrer ohnmächtig: Künftig soll das Auto in solchen Fällen automatisch Hilfe rufen. Am 1. April ging in ganz Europa ein neues System an den Start – E-Call.

Was kann E-Call eigentlich?

Nach einem Unfall wählt das Auto automatisch den europaweit geltenden Notruf 112 und stellt eine Telefonverbindung zur nächstgelegenen Rettungsleitstelle her. Ausgelöst wird das durch Crash-Sensoren und über die Steuerung der Airbags. Melden sich die Insassen nicht – etwa, wenn sie ohnmächtig sind –, kann die Leitstelle direkt einen Rettungseinsatz auslösen. Denn E-Call übermittelt über Satellit gleichzeitig Daten zum Standort des Wagens und zur Fahrtrichtung – wichtig, um bei Unfällen auf der Autobahn den Notarzt auf die richtige Spur zu bringen.

Bringt das denn etwas?

EU-Kommission und Europaparlament setzen große Hoffnung auf das System, das schon 2002 gepriesen und das schließlich 2015 gesetzlich festgeschrieben wurde. „Mit E-Call wird sich die Reaktionszeit der Rettungsdienste in ländlichen Gegenden um 50 Prozent und in städtischen Regionen um 40 Prozent verringern“, rechnet die Europaabgeordnete Olga Sehnalova vor. „Das führt zu einer Verringerung der Todesopfer und der Rettung von bis zu 1500 Menschenleben pro Jahr.“ Die EU-Kommission schätzte die Zahl im Jahr 2013 sogar auf 2500.

Doppelt so schnelle Reaktionszeit, geht das wirklich?

Mit Blick auf Deutschland hat Marco König, Vorsitzender des Berufsverbands Rettungsdienst, Zweifel. Im Durchschnitt dauere es heute bundesweit knapp zehn Minuten, bis nach einem Notruf ein Retter am Unfallort ist. Eine Verringerung um 50 Prozent würde bedeuten, dass es nur noch fünf Minuten wären. Kaum realistisch, meint König. Da spielten andere Faktoren eine Rolle als nur der rasche Anruf bei der Leitstelle, etwa die Logistik der Rettungswagen.

Aber nützt das System dann wirklich etwas?

E-Call gilt ja künftig in ganz Europa, und in einigen EU-Ländern liegen die sogenannten Hilfsfristen nach Angaben des österreichischen Roten Kreuzes bei bis zu 20 Minuten. Und auch in Deutschland gilt: Jede Beschleunigung hilft. König nennt die Faustformel: Pro Minute sinkt bei einem lebensgefährlich Verletzten die Überlebenschance um zehn Prozent. „Wenn nur ein Menschenleben gerettet wird, dann ist das eine gute Investition“, meint Achim Hackstein, Vorsitzender des Fachverbands Leitstellen. Ob sich E-Call bewährt, wird sich aber wohl erst in einigen Jahren herausstellen. Denn Pflicht wird das System jetzt nur für neue Modelle. Bisher gebe es kaum Erfahrungen, sagt Hackstein.

Kann jetzt die Polizei Autofahrer heimlich tracken?

Datenschützer haben immer wieder schwere Bedenken gegen E-Call vorgebracht. „Das aus Datenschutzsicht ursprünglich weitgehend neutrale Auto wird so schnell zur Datenschleuder“, monierte der ehemalige Datenschutzbeauftragte von Schleswig-Holstein, Thilo Weichert. Der ADAC hat weniger Vorbehalte. „Das gesetzliche E-Call baut erst nach einem Unfall eine Verbindung auf – damit werden Autofahrer und ihre Fahrten nicht ‚getrackt‘“, erläutert Sprecher Johannes Boos. „Für diesen gesetzlich vorgeschriebenen E-Call sehen wir unmittelbar keinen Missbrauch des Datenmonopols.“

Also alles unproblematisch?

Kritischer beäugt aber auch der ADAC Kommunikationsdienste, die Fahrzeughersteller in eigener Verantwortung anbieten. Mercedes-Benz etwa hat seit 2012 eigene Notrufzentralen. Boos warnt, einige Hersteller schlössen mit ihren Kunden Verträge mit weit umfangreicheren Datenpaketen als E-Call. Bisweilen gebe es Klauseln, dass das Herstellersystem bei einem Unfall Vorrang vor E-Call bekomme. Das sehen auch die Rettungsdienstexperten König und Hackstein kritisch: Automatische Notrufe müssten immer direkt an die Rettungsleitstelle gehen, fordern beide.

(Quelle: Freie Presse)