Wirtschaft im Erzgebirge bekommt Brexit schon zu spüren

Ein Teil der Produkte des Stützengrüner Unternehmens ist für den britischen Markt bestimmt.
Viele Firmen in der Region bereiten sich auf einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union vor. Angesichts der Unsicherheiten ist das aber gar nicht so einfach.Marienberg.Kommt der Brexit oder kommt er nicht? Und wenn ja: Wann und in welcher Form? Das fragen sich derzeit auch viele Unternehmer im Erzgebirge. Die Auswirkungen des geplanten Ausscheidens Großbritanniens aus der EU bekommen sie zum Teil schon jetzt zu spüren. Angesichts der Unsicherheiten sei es schwierig, sich darauf einzustellen, sagen die von "Freie Presse" befragten Unternehmer.

Eher gelassen sieht Matthias Lißke, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Erzgebirge, dem nahenden Brexit entgegen. Er ist sich sicher: Die hiesige Wirtschaft kann ihn gut verkraften. "Es werden keine Arbeitsplätze verloren gehen", sagt er. Wichtiger als das Vereinigte Königreich seien für das Erzgebirge in Hinblick auf ausländische Absatzmärkte Frankreich, Italien und Tschechien. Gleichwohl ist sich Lißke bewusst, dass zum Beispiel ungeklärte Zollbestimmungen zunächst zu Problemen führen könnten.

"Für Sachsen insgesamt ist das Vereinigte Königreich drittwichtigster Exportpartner", betont Barbara Hofmann, Referatsleiterin International bei der Industrie und Handelskammer Chemnitz, zu der die Regionalkammer Erzgebirge gehört. "Die Branchen mit der engsten Verknüpfung zum Königreich sind der Fahrzeugbau sowie der Maschinenbau." Damit sei in der Folge auch die Zulieferindustrie betroffen.

Automobilzulieferer: Quasi wöchentlich setzen sich die Verantwortlichen beim Automobilzulieferer Scherdel in Marienberg mit dem drohenden Brexit und den Folgen auseinander, sagt Karsten Barth, Mitglied der Geschäftsleitung. Der Austritt Großbritanniens aus der EU stelle für den drittgrößten Arbeitgeber im Erzgebirge ein Problem dar. "Wir importieren zwar wenig aus England, haben auf der Insel aber Kunden für unsere Produkte", ergänzt Barth. "Die Auswirkungen kann zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand genau abschätzen."

Papierproduzent: Betroffen ist auch die Schönfelder Papierfabrik. Das Unternehmen erzeugt Papier aus Recyclingmaterial und exportiert dieses auf die Insel. Großbritannien zähle zu den größten Abnehmern, sagt Felix Cordier, einer der beiden Geschäftsführer des 120 Mitarbeiter zählenden Unternehmens mit 40 Millionen Euro Jahresumsatz. Felix Cordier geht davon aus, dass es nach dem Brexit einen zeitweisen Rückgang geben wird. Seine britischen Abnehmer hätten sich schon jetzt mit Papier bevorratet. Entsprechend gut sei zuletzt die Auslastung in der Papierfabrik gewesen. Langfristig sieht der Geschäftsführer keine größeren Probleme. Er geht davon aus, dass die offenen Fragen etwa zum Thema Zoll zügig geklärt werden.

Rasierpinsel-Manufaktur: Hochwertige Rasierer, Rasierpinsel, Pflegeprodukte und mehr stellt Christian Müller mit seinen rund 80 Mitarbeitern beim Hersteller Mühle in Stützengrün her. Trotz des nahenden Brexits eröffnete er im November 2018, unterstützt von einem Vertriebspartner, in London ein Geschäft. In Berlin gibt es schon eines. "Wir planen langfristig", betonte er. Es gehe darum, im wichtigen britischen Rasurmarkt die Bekanntheit der Produkte zu steigern.

Eine Vorbereitung auf den sich abzeichnenden Brexit sei eher schwierig. "Denn im Augenblick ist er viel zu vage", betont Christian Müller, der einer von zwei Geschäftsführern ist. Er geht davon aus, dass sich Großbritannien und die Europäische Union bei den Handelsfragen noch einigen. "Etwas anderes können sie sich gar nicht leisten." Das Unternehmen exportiert seine Produkte weltweit.

Landwirtschaft: Handelsbeschränkungen, Zölle und weitere Brexit-Folgen würden sich auch auf die Landwirtschaft im Erzgebirge auswirken. "Mir wäre am liebsten, wenn Großbritannien in der EU bleiben würde", sagt Werner Bergelt. Hoffnungen macht sich der Geschäftsführer des Regionalbauernverbands Erzgebirge aber keine mehr. Bergelt rechnet damit, dass Warenströme ins Stocken geraten könnten. Zudem bestehe die Sorge, dass sich die Briten danach fast ausschließlich selbst versorgen könnten - ähnlich wie nach dem Russland-Embargo. Moskau wehrte sich gegen die Sanktionen des Westens und setzt bei Fleisch, Milch, Obst und Gemüse seitdem auf heimische Produktion. Auch deshalb sorgt der Brexit für erhebliche Unsicherheit in der gesamten Agrarbranche.

"Ich denke, die Menschen in Großbritannien haben nicht verstanden, was der Brexit bedeutet"

Mark Fenton (48) verließ 2012 Großbritannien. Mit seiner deutschen Frau betreibt er in Burkhardtsdorf den Naturhof. Georg Müller sprach mit ihm.

"Freie Presse": Sie sind etwa einmal im Jahr in Großbritannien. Wie erleben Sie das Ausscheiden Ihres Heimatlandes aus der EU?

Mark Fenton: Ich denke, die Menschen in Großbritannien haben nicht verstanden, was der Brexit bedeutet und welche wirtschaftlichen Folgen er mit sich bringt. Die Parlamentarier müssen mehr mit den Menschen auf der Straße reden.

Wird Ihrer Meinung nach der Brexit kommen, oder könnte es doch noch einen Exit vom Brexit geben?

Der Brexit wird auf jeden Fall kommen. Die Frage ist nur in welcher Form, also ob er geregelt oder ungeregelt ist. Großbritannien hat maßgeblich zur Entstehung der EU beigetragen und zieht sich nun zurück. Das finde ich sehr schade.

Bekommen Sie die Auswirkungen des nahenden Brexit zu spüren?

Unser Naturhof ist nicht betroffen, wir liefern an die lokale Bevölkerung. Aber im privaten Bereich sehe ich einige Probleme. Da meine Frau Deutsche ist und ich hier arbeite, habe ich zwar eine unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung. Jedoch könnten Schwierigkeiten bei meinen britischen Pensionsansprüchen entstehen oder bei der Krankenversicherung. Aus diesem Grund denke ich darüber nach, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Im Augenblick habe ich nur die Britische.